Wenn ich an einen neuen Ort fahre, dauert es eine Weile, bis ich mich zurechtfinde. Damit meine ich nicht das Straßennetz, die Gepflogenheiten, die Kultur, wo ich esse, was ich sehen will, wie meine Zeit verbringen.
Natürlich, darum geht es auch. Aber das ist nur ein Teil des Ganzen.
Es geht im Kern darum zu verstehen, warum ich da bin.
Warum ich gerade an diesen Ort auf dieser großen Welt gefahren bin.
Das weiß ich vorher nicht.
Meist habe ich ganz plötzlich eine Idee eines Ortes, eine Lust dahinzufahren, ohne ein genaues Bild davon oder ein konkretes Vorhaben. Wenn diese Idee, diese Lust bleibt und stärker wird, dann gehe ich ihr nach.
Auf New York habe ich mich wenig vorbereitet, um meine Intuition vor Ort nicht zu trüben. Ich habe mir keinen Plan gemacht, was ich tun und sehen will in dieser Riesenstadt, da ich sonst diesen Plan ohne Widerrede ausgeführt hätte. Und damit wäre ich vielleicht an dem Thema, das mich wirklich hierher geführt hat, vorbeigelaufen.
Ich kenne das schon.
Zuerst bin ich mal orientierungslos. Muss mich an die Unterkunft gewöhnen, die Geräusche. Zweifle. Laufe herum, verlaufe mich, setze mich in Busse, fahre ziellos. Esse viel, da es mir Sicherheit gibt. Und ich muss ja auch all diese guten Sachen probieren! In einer Stadt esse ich generell mehr, da einem überall das Essen vor die Nase gehalten wird. Und ich laufe mehr; so 7-8 km pro Tag, sagt mein iPhone.
Ich bin also die letzten zwei Tage kreuz und quer durch diese atemberaubende Stadt gegangen und gefahren. Und das ist sie wirklich. Unwirklich beeindruckend. Wie ein überdimensionaler Vergnügungspark. Hier gibt es alles, aus allen Nationen der Welt. Dazu ist das Wetter ist super; 18-20 Grad, sonnig, blauer Himmel; alle genießen einen letzten Hauch von Sommer im Freien, während man gleichzeitig am Rockefeller Center schon Eislaufen kann.
Ich bin am Hudson River entlang gelaufen zum Battery Park, war an dem Ort wo das World Trade Center stand und in der Wall Street. Am völlig verrückten Time Square, in Chinatown und sogar rüber nach Brooklyn mit dem Bus bis zum Brooklyn Botanic Garden. Habe das UN-Hauptquartier gesehen, das Rockefeller Center, die Radio City Hall. Die Orte wirken auf mich ein bisschen unwirklich, da man sie so oft im Fernsehen gesehen hat. So ging es mir auch als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal vorm Brandenburger Tor in Berlin stand. Das ist es wirklich ???
Ich habe mich Ängsten und Unsicherheiten gestellt, einschränkende Denkweisen erkannt. Wie eine Suchende bin ich durch Downtown und Midtown Manhattan geeilt und habe mich von der Hektik der Stadt anstecken lassen. Heute Nachmittag bin ich dann von Midtown durch Chelsea runter ins Greenwich Village gelaufen, wo meine Wohnung liegt.
Und dann habe ich es plötzlich gefunden.
In einer wunderschönen Buchhandlung 50 Meter von meiner Wohnung entfernt nahm ich ein Buch zur Hand und wusste, dass es um das Village geht. Greenwich Village. Hier wo ich wohne.
Ich kannte weder den Autor des Buches, noch sagte mir der Titel etwas, aber ich kaufte es sofort und schleppte meine Beute nach Hause. Hier sitze ich nun am Samstagabend auf meiner Couch mit Tee und diesem Buch, und kann mir in New York gerade nichts Schöneres vorstellen.
Kennt Ihr dieses Gefühl einen Schatz in der Hand zu halten?
Einen Schatz der Euch etwas Neues erzählt, etwas das Verbindung hat zu etwas das Ihr schon kennt, aber die Verbindung ist noch verschwommen? Etwas das mit Euch zu tun hat, ganz tief drinnen?
So fühle ich mich gerade. Ich lese jeden Satz des ersten Kapitels bedächtig. Das Buch handelt von der Zeit in Greenwich Village nach dem zweiten Weltkrieg, als das Village das wichtigste Künstlerviertel New Yorks war.
Jetzt weiß ich auch, warum ich im Flugzeug auf dem Weg nach New York den Film "Churchill" angeschaut habe.
Warum ich im Mai nach Paris gefahren bin und in erster Linie von den amerikanischen Exilliteraten nach dem ersten Weltkrieg fasziniert war. Von Menschen, die ein Künstlerleben leben wollen, weil es keine Alternative für sie gibt in dieser Gesellschaft, auch wenn sie damit völlig aus der Gesellschaftsnorm fallen.
Warum ich gerne Bücher lese, über Menschen die anders sind als alle und daran auch schon mal verzweifeln.
Warum ich im Sommer ein Hörbuch kaufte, in der eine Schriftstellerin von ihrem Leben in Greenwich Village erzählt.
Es bringt das alles zusammen und wahrscheinlich noch mehr, das mir gerade noch nicht einfällt.
Das ist es was ich so spannend finde an der Kombination Schreiben-Lesen-Beobachten.
Plötzlich findet man eine Spur und folgt ihr wie ein Detektiv. Man sieht eine Geschichte, oder viele Geschichten die verwoben sind und macht sich auf die Suche nach dem gemeinsamen Thema, und vor allem, was es mit einem selbst zu tun hat.
Ich tue das nicht um etwas aufzudecken was die Welt noch nicht weiß. Oder um die Welt besser zu machen, sie zu erklären.
Sondern einfach weil es mir riesigen Spass macht.
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Marga (Sonntag, 29 Oktober 2017 07:45)
Vielen Dank für dein ehrliches Schreiben .
Einen inspirierenden Sonntag und eine spannende Zeit !
Marga
Christiane (Sonntag, 29 Oktober 2017 08:09)
Hallo Daniela. So ging es mir in den USA im Sommer. Als ich in Portland und Eugene war. Ich sog alles auf weil es soviel Neues gab an Eindrücken..an Essen �und die Diversität an Menschen ..jeder Einzelne ein Teil von mir. Impulsen folgen ohne zu wissen warum...war mir mit Amerika so und Hamburg und Nizza..jedesmal ein sehr tiefes Erfahren und Berührtsein und WOW. Geniesse und weiter viel Spass beim Eintauchen.
Coquelicot (Sonntag, 29 Oktober 2017 09:08)
Wunderbar geschrieben, liebe Daniela ..."Unwirklich beeindruckend", diese Stadt. Ja, so habe auch ich sie erlebt ...
Genieße sie weiterhin!
Liebe Grüße
Karin mit Eseldame Coquelicot
Annette (Sonntag, 29 Oktober 2017 10:12)
Ich bin beeindruckt. Ich glaube manchmal Zufälle gibt es nicht, nur eine lange Kette von Geschehnissen, die plötzlich ineinanderfließen und ein Ganzes werden !
Lg