Glücksmomente

Nun bin ich schon sechs Tage in New York. Die Zeit vergeht so schnell! In drei Tagen fliege ich wieder nach Hause. Ich bin überwältigt von all den Eindrücken der letzten Tage. So möchte ich heute fünf meiner bisherigen Glücksmomente zu Papier bringen. Ich meine damit nicht Situationen, in denen mir etwas gefallen oder mich etwas beeindruckt hat. Sondern Momente, in denen ich plötzlich und meist unerwartet ein tiefes Gefühl von Wärme, Zufriedenheit und Glück gefühlt habe. 

 

1. Mit Oleg aus Queens durch die Nacht

Ich hätte nicht herzlicher empfangen werden können. Nach einem langen Flug und einigen Unsicherheiten am JFK-Flughafen steige ich kalt und müde in ein Taxi zu Oleg aus Kasachstan, der mich  durch das nächtliche Lichtermeer New York zu meiner Wohnung in Greenwich Village bringt. Oleg erzählt mir seine ganze Lebensgeschichte und überschüttet mich mit Lebensmut. Anfang der 1990er kam er mit seiner Familie als Flüchtling aus Zentralasien über Deutschland nach New York und wohnt in Queens. Er ist stolz, dass alle mittlerweile einen amerikanischen Pass haben und er betont ein Ashkenazi-Jude zu sein. Er mag keine Moslems. Die würden alles zerstören. Die Deutschen mag er. Er packt sämtliche Brocken deutsch aus die ihm einfallen, und alle deutschen Städte die er kennt. Er spricht mit Begeisterung von New York und erklärt mir das Lichtermeer; zeigt mir wo er mit seiner Familie in Queens wohnt. Ich bin gerührt und fühle, dass es eine gute Entscheidung war, hierher zu kommen. 

 

2. Mit dem Touri-Bus nach Brooklyn

Also gut, ich gebe zu, Hop-on/Hop-off-Busse sind eine praktische Angelegenheit, um sich einen Überblick zu verschaffen, wenn man eine Stadt nicht kennt. So mache ich am Samstag bei strahlendstem Sonnenschein vom Battery Park in Süd-Manhattan aus eine Tour nach Brooklyn auf dem Oberdeck eines Touristen-Busses. Der Guide ist ein kleiner, dicker Latino der in Brooklyn aufgewachsen ist. Solange wir in Manhattan sind, verhält er sich relativ normal, wie ein Guide halt. Wir fahren langsam über die Manhattan Bridge Richtung Brooklyn, und rechts vor uns tun sich die gigantische Brooklyn Bridge und die Skyline von Manhattan auf. Ich komme mir vor, als würde ich gerade eine Achterbahn hochfahren und einen Ausblick auf den ganzen Vergnügungspark bekommen. New York kommt mir beeindruckend surreal vor. Sobald wir in Brooklyn einfahren, verwandelt sich unser Latino-Guide in einen Rapper - Brooklyn in Da House! Plötzlich spricht er den Slang in atemberaubender Geschwindigkeit und verkauft uns Brooklyn so lustig und sympathisch - Witze über Manhattan inbegriffen - dass ich beschliesse, auf jeden Fall zurückzukommen. Die Sonne scheint, es ist warm, alle lachen, das Leben ist leicht. 

 

3. Sunday Morning in New York 

Ich liebe das Dorf in dem ich wohne. Die Ruhe, die Natur. Aber ich finde es genial am Sonntagmorgen in Jogginghosen die Treppen runterzulaufen, beim Kiosk gegenüber die Sunday New York Times zu holen, bei der Kaffeerösterei nebenan einen großen Café au Lait mit Mandelmilch und einen zucker- und glutenfreien Kürbiskuchen. Dafür müsste ich in Deutschland sicherlich bis nach Frankfurt fahren. Nach fünf Minuten sitze ich wieder auf der Couch und genieße das alles bei schöner Jazzmusik. Ich stelle mir vor wie andere New Yorker den Sonntagmorgen verbringen. Es gibt nichts wo ich hin müsste, ich fühle mich einfach wohl. In diesem Moment tatsächlich wie zu Hause. 

 

4. Soul-Food

Am Sonntag gegen Mittag beginnt es zu regnen, besser gesagt zu schütten. Regenjacke und Schirm können gegen die Windböen und Wassermassen nichts ausrichten. Ich befinde mich gerade mitten am hektischen Time Square und laufe in eine Seitenstrasse um ein Taxi zu finden. Der Himmel hat sich verdunkelt, auf den Strassen herrscht Chaos. Ich komme an einem Restaurant vorbei und entscheide blitzschnell hineinzustürmen, da ein Taxi sowieso aussichtslos erscheint. Ich bin wohl bei einem Italiener gelandet. Hinten im Gastraum ist es recht eng und voll, vorne gibt es eine große, leere Theke aus massivem dunklen Holz, dahinter ein freundlich lächelnder, glaswienernder Mensch. Während der nächsten anderthalb Stunden sitze ich bequem am Tresen in einer Ecke, schreibe, beobachte New Yorker am Sonntagnachmittag, esse die beste vegetarische, glutenfreie Pizza meines Lebens und trinke ein Glas Weisswein dazu. Ich bemerke erst später, dass ich bei "Don Antonio" war, einem der traditionsreichen neapolitanischen Pizzabäcker New Yorks mit besten Kritiken im Netz, in bester Lage zwischen Times Square und Hells Kitchen, einem angesagten Viertel. Ich hatte mich schon gewundert - USD 24 für die Pizza und USD 10 für das Glas Wein...aber es war es auf jeden Fall wert! Gemütlicher Platz, wunderbares Essen und Inspiration zum Schreiben, während draußen die Welt untergeht. 

 

5. Imagine 

Bei einer der Touri-Bustouren kam ich auch durch die Upper West Side und am Central Park vorbei. Ich kann nicht sagen, dass mir dort beim Vorbeifahren etwas besonders gefallen hat; eine noble Gegend mit sagenhaften Preisen. Nur eine Stelle hat mich berührt - das Dakota Building. Ich hatte mit Beatles, John Lennon und Yoko Ono bisher nicht viel am Hut. Aber als der Guide (eine schreiende verrückte New Yorkerin mit wilden blonden Locken) theatralisch schildert, dass wir nun GENAU an DER Stelle sind, wo John Lennon 1980 ERSCHOSSEN wurde, da hatte ich Gänsehaut. Ich spürte eine Verbindung, eine Berührung die ich nicht erklären kann. Am Abend und dem Folgeabend schaute ich mir zwei Dokumentationen über das Leben von John Lennon und Yoko Ono von 1968 bis 1980 an, und beschloss zurück zum Dakota Building zu gehen. In den Dokumentationen erfuhr ich von den Strawberry Fields im Central Park, einer Gedenkstätte die Yoko Ono für John Lennon Mitte der 1980er Jahre hat errichten lassen.

Heute war ich dort. Ich wanderte vom Südostende des Central Parks quer durch bis zur Mitte, wo sich auf der West Side die Gedenkstätte befindet. Ich muss generell sagen, dass der Central Park schon etwas ganz Tolles ist. Mitten in dieser verrückten, lauten, hektischen Riesenstadt kommt man sich vor wie im Wald. Eichhörnchen springen herum, Menschen fahren Ruderboot, 9.000 Parkbänke auf denen man sitzen und Bäume betrachten kann. Als ich der Gedenkstätte näher komme, höre ich schon von weitem leise Musik. Ein Musiker mit Gitarre sitzt auf einer Bank direkt am "Imagine-Mosaik" und singt John-Lennon-Lieder.

Ich lasse mich gegenüber nieder. Menschentrauben kommen und gehen. Schiessen Fotos, halten inne, sitzen, gehen wieder. Mir fällt ein großer, hagerer Mann in Jeans auf, der sein Bruder sein könnte. Er ist sichtlich bewegt. Richtet seine Kleidung als er sich dem Mosaik nähert. Seine Bewegungen werden fahrig, unsicher, so als müsse er sich kontrollieren. Seine Partnerin drückt ihn am Arm. Er steht vor dem Mosaik und schaut ungläubig darauf. Braucht einige Momente bevor er zögernd in die Knie geht und zögernd seine linke Hand ausstreckt. Er berührt das Mosaik so vorsichtig und zärtlich, als würde er einen geliebten Menschen berühren. Er ist sichtlich gerührt. Seine Frau schiesst Fotos. Er scheint mit dem Mosaik zu kommunizieren, ohne dass sich seine Lippen bewegen, schaut es intensiv an, berührt es immer wieder.

Es ist ein besonderer, magischer Moment. Alles andere ist für kurze Zeit ausgeblendet. Ich bin ergriffen von der Ergriffenheit eines Mannes über einen Menschen, der seit 37 Jahren tot ist, und den er wahrscheinlich gar nicht persönlich gekannt hat. 

 

Wenn ich mir meine Glücksmomente nochmal durchlese, muss ich lächeln. Dies sind die Momente die mich reich machen. Und meist brauch es für sie gar nicht viel. 

 

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Karola (Donnerstag, 02 November 2017 08:53)

    Liebe Dani,

    herzlichen Dank für alle deine wunderbaren und sehr gefühlvollen Blogeinträge. Hatte Spaß und sehr viel Freude beim Lesen ❤️�

    Danke
    Karola

  • #2

    Hubert (Donnerstag, 02 November 2017 09:42)

    Danke, dass du mich mitnimmst auf deine Reise durch New York . Mit mir deine Eindrücke und Gefühle teilst und mir dadurch die einzigartige Möglichkeit gibst, einzutauchen in diese Stadt , in ihre Gerüche, ihre Vielseitigkeit und Einzigartigkeit.

  • #3

    Nadine (Donnerstag, 02 November 2017 10:12)

    Ich bin immer wieder gerührt von deinen so wunderschönen Erzählungen. Es macht mir richtig Spass deine Blogs zu lesen.
    Ich hab das John Lennon Mosaik schon mal gesehen, vor Jahren bei meiner New York Reise.

  • #4

    Maria (Donnerstag, 02 November 2017 17:53)

    Es ist ganz faszinierend, mit Dir New York zu erleben, die Stadt scheint es Dir angetan zu haben!!!!
    BEATLES, John Lennon, Yoko Ono war ja eher meine Zeit......eine gute Zeit!!!!
    Genieße die restlichen Tage...und schicke uns weiterhin eindrucksvolle, erlebnisreiche Berichte!!!,��

  • #5

    Nora (Donnerstag, 02 November 2017 22:45)

    So wunderbar...Ich will weiterlesen...Immer weiter von noch mehr Orten in NY -mehr Menschen-Gefühle...Das gerade zu lesen war für mich wie ein richtig guter Kinofilm...Ich war voll dabei. Leider war ich bisher noch nicht in NY aber es fühlte sich so an als wäre ich dabei gewesen...echt gut! Bitte mehr davon!

  • #6

    Annette (Freitag, 03 November 2017 12:23)

    Einfach wunderbar - ich war dabei ... in Gedanken, Gefühlen, Alles !