Tiefe Schätze bergen

Ich stehe an einem großen, ruhigen See. 

Wie bin ich hierher gekommen? Ich schaue mich um, reibe mir die Augen. 

Es ist, als sei ich aus einem tiefen Schlaf erwacht. Um mich herum eine Landschaft, die mir bekannt erscheint, aber doch anders und neu. 

Es ist still, keine Menschen. Nur ich.

Tiefgrüne Wälder wiegen sich im sanften Wind, der See glitzert leicht im erwachenden Sonnenlicht. Es muss noch früh am Morgen sein. Gleichzeitig komme ich mir zeitlos vor. Wolkenflöckchen durchziehen den blauen Himmel - es wird ein schöner Tag. 

Nein, es ist schon einer. 

Ich schaue an mir herab. Mein Körper, ja. Aber er fühlt sich anders an, weiter, neuer. Was ist passiert? Ich versuche mich zu erinnern. Aber da ist nichts, außer wohlig-weichem Nebel in meinen Gedanken. 

Ich bin barfuß und fühle warmes Gras angenehm unter meinen Füßen. Der See vor mir ist groß, so groß, daß ich das gegenüberliegende Ufer nur schemenhaft erkenne. Vielleicht reicht der See auch noch weiter und meine Augen versuchen sich nur ein Ende vorzustellen. Sein Wasser wirkt ruhig und klar, einladend. 

Intuitiv tue ich einen Schritt nach vorne, und noch einen. Der Einstieg in den See ist ganz leicht, und bald fühle ich weiches, warmes Wasser meine Füße und Beine umspielen. Ich gehe langsam weiter, lasse meinen Körper ganz vom Wasser des Sees einhüllen.

Ein angenehmes Gefühl von Zuhause durchflutet mich. Es wirkt bekannt und neu zugleich. Ich spüre wie Tränen der Lösung und Freude mir über die Wangen gleiten und in den See tropfen. Ich vereinige mich mit dem See. Mein Wasser wird zu seinem Wasser. Ich beginne zu schwimmen, aber bemerke gleich, daß der See mich trägt. Er nimmt mich in seine Arme und lässt mich sanft gleiten. Ich drehe mich auf den Rücken und betrachte den weiten Himmel, während der See mich in seine Mitte trägt. Ich fühle mich wohl und ganz. Ich weiß nicht wo ich herkomme und wo ich hingehe, und es ist auch unbedeutend. Hier zählt nur das Jetzt; Zeit und Raum fließen durch mich. 

Ich spüre, daß ich in der Mitte des Sees angekommen bin. Ich schließe die Augen und fühle meinen Atem. Sanft durchfließt er meinen Körper und öffnet fast unmerklich einen Raum in meiner eigenen Mitte. Alles fließt jetzt zusammen, die Landschaft, der See, sie sind auch in meinem Inneren. Das Gefühl von Zuhause wird stärker, es ist ein tiefes Gefühl von Geborgenheit in mir. Ich betrete meinen inneren Raum, und gleichzeitig beginne ich langsam in den See hinab zu sinken. Mein Atem ist so präsent und allmächtig, daß mir kein Zweifel kommt, unter Wasser nicht atmen zu können. Dies ist mein See und meine Landschaft, wie sollte ich darin ertrinken? 

Ich gleite tiefer und tiefer. Wunderschöne Welten begegnen mir, ganze Leben, die mir bekannt vorkommen. Ich sehe mich selbst in verschiedenen Personen ganz unterschiedlichen Alters. Ich sehe mich selbst als Kind. Sehe den Kampf ins letzte Leben, Szenen meiner Kindheit. Ich möchte greifen nach diesem Kind, es in den Arm nehmen und halten, aber ich sinke tiefer. Schillernde Farben umgeben mich, durchströmen und klären. Ich lasse alles hinter mir. Alles was war und alles was sein wird.

Sanft komme ich am Boden an. Ein weicher, warmer Boden, der sich sicher anfühlt. Mein Atem ist groß und weit, so präsent, daß kein Gedanke sich seine Bahn bricht.

Ich atme und bin.

Sitze hier in meinem Raum, am Grund meines inneren Sees und fühle alles was mich ausmacht. Wie in einem Kaleidoskop breiten sich Bilder aller Zeiten und Welten vor mir aus und werden klar in ihrer einzigartigen Schönheit und Vielfalt.

Mein Sein in so vielen Leben.  

Und immer trug ich diesen See in mir, der mich daran erinnert, was ich wirklich bin. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Tania (Donnerstag, 30 November 2017 13:21)

    wow, voll berührt. Danke