Es kommt zu mir - Teil II: Neue Räume

Am 26. Dezember beginne ich Hanns-Josef Ortheil zu googeln. Finde seine Webseite, stöbere. Schaue mir Videos an, sehe ihn in Talkshows und Interviews, aber auch in eigenen Videos wo er erklärt, wie er schreibt. Er erzählt von seiner “Werkstatt”. Ich google, lese, schaue. Das interessiert mich. Es hört sich schlüssig an, was er sagt, wie er seine Art des kreativen Schaffens erklärt. Es ist so, als spräche er direkt zu mir, mir gegenübersitzend an einem Tisch. Er hat eine angenehme, klare, ruhige Stimme. Ich erfahre, dass er Professor an der Universität Hildesheim ist und dort den Studiengang “Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus” entwickelt hat. Auf diesen Studiengang war ich im November schon mal beim Googeln gestossen. Ortheil hat Schreib-Ratgeber herausgegeben, eine ganze Serie über den Duden-Verlag, die ich alle kurzerhand bestelle. 

 

Ich habe viel Zeit zum Nachdenken in diesen letzten Tagen des Jahres und schreibe viel. Artikel, Geschichten, Tagebuch, Gedichte. Ich treffe wenige Menschen, spaziere viel durch die Natur und fühle mich mehr und mehr wie in einem endlosen Bewusstseinsstrom, der durch mich fließt, dem ich zuschaue. Er fließt mit meinem Atem, wie ein breiter Bach, der sich durch steiniges Gebirge und Bergwiesen seinen Weg bahnt, unermüdlich fließt. Ich schlafe viel und träume intensiv. 

 

Gleichzeitig fühle ich mich wie aus einem langen Schlaf erwacht, mich umschauend, wo ich eigentlich gerade bin. Dieser Winter scheint mir dunkler als je zuvor, aber mein Herz ist hell in diesen Tagen. Ich spüre, dass es Zeit ist, alte Dinge loszulassen. Sichtweisen, Erwartungen, Dramen und selbsterschaffene Beschränkungen. Ich weiß, dass ich mir meine Welt erschaffe durch meinen Bewusstseinsstrom, in dem alles vorhanden ist. Er kommt aus meiner Quelle, die mich nährt, wenn ich mich mit ihr verbinde. 

 

Alles ist Strom, mein Atem, die Worte, die auf mein Blatt und aus meinem Mund fließen, mein Körper, der sich beim Gehen, Tanzen, Yoga, schwimmen bewegt, Musik die in mein Ohr und meinen Körper dringt, Töne, die ich mit meiner Stimme erschaffe, Farben, die aufs Papier fließen. Alles zusammen ist die Kunst des Bewusstseins. Die Symphonie meines Bewusst-Seins. Ein kreativer Strom, der nie versiegt, leise und stetig durch mich fließt, in den ich mich jederzeit begeben kann, um mich zu erfrischen und beleben. Ich muß nur zuhören, innehalten, aufhören, loslassen, still stehen, fühlen, in Ruhe betrachten. Der Strom ist hell und klar, lebendig und rein. Er enthält die Essenz aller Geschichten und Potentiale. Ich habe die freie Wahl, was ich daraus machen möchte. 

 

In meinem Hinterkopf ist die zögerliche Lust, wieder an einem meiner beiden Buchprojekte weiterzuschreiben. Es erscheint wie ein Berg, auf dem es verlockend ist, zu stehen. Eine kleine Geschichte ist schnell geschrieben, aber wieder in ein Buchprojekt einzutauchen, ist eine andere Sache. Ich habe mich seit Monaten nicht damit beschäftigt. 

 

Das Konzept von Ortheils Schreibwerkstatt gefällt mir. Ich überlege, in welchen Räumen meines Hauses ich eigentlich was genau schreibe und wo ich mich am liebsten aufhalte, um was genau zu tun. Mir kommt die Idee, eine Werkstatt für meine Buchprojekte einzurichten. Ein Ort, wo Materialien zu den Projekten sichtbar liegen oder hängen. Ein Ort, an den ich gehe, um daran zu schreiben, und nur daran. Ein Ort, an dem die Figuren und ihre Geschichte leben können. 

 

In meinem Keller gibt es einen großen, hellen Raum, den ich seit längerem nicht mehr genutzt habe. Er hat schon als alles mögliche gedient, und jetzt stehen dort Dinge, mit denen ich mich gerade nicht beschäftige. Ein Regal mit esoterischen Büchern, eine Klangliege und weitere Klanginstrumente, eine Staffelei mit Acryl-Malutensilien, ein Standmikrophon mit Verstärker. 

 

Ich wandere durch den Raum. Atme ihn ein. Er ist ruhig und klar. Und er liegt etwas abgelegen. Es gibt hier keine Internetverbindung und Klingeltöne von Telefon und Haustür hört man bei geschlossener Tür nur ganz schwach. Der Raum geht nach hinten raus mit Sicht auf meine große Wiese und das Dorf. Kein Verkehrslärm dringt herein. Es ist ein optimaler Retreat-Raum, ein Rückzugsort. Ich schiebe einen großen Tisch ans Fenster, setze einen einfachen Hocker davor. Es darf reduziert und einfach bleiben, ohne Ablenkung. Morgen früh werde ich hierherkommen, um an einem meiner Buchprojekte zu schreiben. Jetzt weiß ich auch, an welchem. 

 

Die nächsten Tage verbringe ich morgens in diesem Raum. Nach dem Aufwachen liege ich oft einige Zeit träumend und atmend im Bett, bis es draußen hell wird. Dann stehe ich auf, mache ein wenig Yoga, koche mir eine Kanne Tee und nehme sie mit nach unten. Ich stelle das Laptop auf den Tisch und schließe die Tür. Das Türschließen hat etwas Beruhigendes. Es ist ein Zeichen, mich ganz auf mich einzulassen. Für zwei bis drei Stunden tippe ich, ohne hochzuschauen. Es geht ganz einfach. Zuerst lese ich die schon geschriebenen Kapitel des Romans und schreibe Zusammenfassungen davon auf digitale Karteikarten, die ich ausdrucke. Dann erstelle ich Charakterbeschreibungen meiner Hauptpersonen und drucke sie ebenfalls aus, suche Photos die zu meinen fiktiven Personen passen. Ich nähere mich meinem Projekt langsam von verschiedenen Seiten, spiele damit, bin erstaunt, was ich da alles geschrieben habe. Und ich spüre, wie die Geschichte weitergeht und in die Tasten fließt. 

 

Ich schreibe, drucke, schneide aus, klebe. Das Material liegt ausgebreitet auf meiner Klangliege, die jetzt als großer Entwurfs-Tisch dient, während ich auf dem anderen Tisch schreibe. Hier erwachen die Figuren zum Leben, beginnen sich zu bewegen. Ich fühle mich, als sei ich in diesen Stunden in meiner Werkstatt an einem ganz anderen Ort. 

 

Im Künstlerhandel habe ich mir ein DIN A3-Ringbuch im Querformat gekauft und es mit farbigen Seidenpapieren beklebt. Dort hinein kommen Zeitungsausschnitte, die mich interessieren, die mir auffallen, die mich inspirieren. Daneben schreibe ich auf, was mir dazu einfällt, lasse die Gedanken treiben, Assoziationen bilden. Es ist ein Spiel. Und das Schneiden und Kleben macht mich irgendwie zufrieden zwischen dem Schreiben. Ich erinnere mich, dass ich gerne bastle, kreativ bin, ohne ein bestimmtes Endprodukt vor Augen zu haben. Ich fange einfach mit irgendeinem Impuls an und sehe dann, was dabei herauskommt. 

 

Es ist eine Papier-Werkstatt. Schreiben, malen, kritzeln, schneiden, kleben. Mit Worten basteln, Collagen legen, Texte lebendig machen, Lust am Ausprobieren und Gestalten, etwas in Fluß bringen. Draußen strömt der Regen, drinnen strömt meine Kreativität, mein Selbstausdruck. Ich erfahre die Kunst des Bewusstseins. Des Bewusst-Mit-Mir-Seins. 

 

Gegen Mittag mache ich eine Pause und frühstücke, lese Zeitung. Dann gehe ich meist lange spazieren. Mir kommt die Idee, beim Gehen kurze Videos von mir selbst zu drehen, sozusagen eine tägliche Bestandsaufnahme, in denen ich zu mir spreche. Einige Stunden später oder am nächsten Morgen schaue ich es mir an. Ich finde es berührend, mich selbst zu sehen in der aktuellen Stimmung, die sich durch Mimik und Wortwahl ausdrückt. 

 

Später am Tag gehe ich noch einmal zurück in meine Werkstatt oder auch nicht. Koche mir etwas Leckeres zu Essen, schaue einen guten Film oder höre klassische Musik und kritzele in mein Gedichtbuch. Ich nehme mir selbst Meditationen auf, lasse mich zu mir sprechen. Ich gehe früh ins Bett, habe kaum Kontakt zu anderen und tauche durch meine Welten. Es ist still. 

 

Mir gefällt dieses Leben. Ich erschaffe neue Räume. 

Das neue Jahr kann kommen. 

 

 

 

Fortsetzung folgt….

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Marga (Samstag, 03 Februar 2018 15:35)

    Ich freue mich auf dein Buch! ��
    Ich dekoriere gerne , schreibe Tagebuch , stelle mir schreibend fragen ,
    Locke mich so aus meinem Innern ! Erkenne mich dadurch immer besser !
    Sammle schöne Zeitschriften , liebe Blumen und Naturbilder !