Über das Schreiben II

 

„Ich habe keine Zeit zum Schreiben.“

„Ich kriege gerade keine Zeile hin.“

 

An dieser Stelle müssten jetzt eigentlich Tipps kommen, wie man trotz vielem anderem im Leben doch noch zum Schreiben kommt, und wie man Schreibblockaden überwindet. 

 

Kommen aber nicht. 

 

Ich habe viel Zeit zum Schreiben.

Ich könnte es ständig tun!

Tue es aber nicht. 

Für mich ist es ganz einfach: Habe ich jetzt Lust zu schreiben? 

Ja! 

Nun, dann schreibe ich. 

Nein! 

Nun, dann tue ich etwas anderes. 

 

Wenn es ein „Ja“ ist, kann ich die bewusste Wahl treffen zu schreiben. 

Ich entscheide dann, mir die Zeit zu nehmen, ohne ABER. Mir Zeit zu nehmen jetzt, heute, nicht nächste Woche oder irgendwann mal. Dies ist JETZT meine Priorität, meine Wahl, meine Entscheidung, weil ich Lust drauf habe, weil da etwas in Bewegung kommen will, nicht weil ich es muss. 

 

Bewusst wähle ich, aus der Flut von möglichen Ablenkungen durch andere Menschen, Arbeit, Termine, Bücher, Filme, Social Media, Musik, etc., auszusteigen, einen tiefen Atemzug zu nehmen und einfach zu beginnen zu schreiben. 

 

Das kann überall sein. Und ich habe festgestellt, dass sich durch die bewusste Wahl meines eigenen Raumes oftmals vieles da draußen von selbst erledigt. Ich schließe innerlich die Tür zur Welt da draußen und öffne die Tür zur Welt da drinnen. Seit ich weiß, habe ich dieses Bild im Kopf von Alice, die durch den Kaninchenbau hinabsaust, in einem Raum landet, von dem mehrere Türen abgehen, durch die sie dann in eine andere Welt, das Wunderland, tritt. Diesen Raum zu betreten, ist wichtig für mich, essentiell. Es macht mir Spaß und Freude, ich fühle mich gut dabei. 

 

Oftmals spielt es gar keine Rolle, dass dabei etwas herauskommt, das ich „gebrauchen kann“. Ganz im Gegenteil, wenn ich mir zum Beispiel vornehme, am Samstag einen neuen Blogartikel zu schreiben oder an einem bestimmten Projekt zu arbeiten, wird da meistens nichts draus. Der neue Text entsteht eher nebenher, so wie jetzt, an einem Freitagabend bei einem Glas Rotwein, da ich mich gerade nicht entscheiden kann, welchen Film ich mir anschauen möchte. Ich fange an etwas zu schreiben, es wird immer mehr, es gefällt mir, es fühlt sich neu an, ich bin neugierig, was daraus wird und plötzlich sind zwei Stunden um und ich bin glücklich. 

So einfach geht Glück?

 

Es ist eben so, jeder Text wird Satz für Satz geschrieben, um nicht zu sagen, Wort für Wort. 

So wie ich Schritt für Schritt spazieren gehe. 

Ich verlasse mein Haus und bin schon unterwegs, nur durch zwei, drei Schritte. Ich könnte wieder zurückgehen. Oder einfach weiter, noch einen Schritt. So schreibe ich. So fließt es am besten. Ohne Absicht, ohne Ziel. Schwierig wird es nur, wenn mein Verstand da mitmischen will. 

„Schreib jetzt an diesem Buchprojekt, das muss doch endlich mal weitergehen!“ 

„Schreib was für den Blog!“ 

„Schreib mal wieder ein Gedicht!“ 

„Setz Dich morgens hin und schreib eine Stunde vor der Arbeit!“ 

„Schreib jeden Abend Tagebuch um den Tag zu reflektieren!“ 

 

Funktioniert bei mir nicht. Zu viele Ausrufezeichen, Pläne, Vorhaben, Listen. 

Schreiben ist etwas Heiliges. Das fließt aus meiner inneren Quelle und deren Hahn öffnet sich, wenn ich in der Stimmung bin, schreiben MÖCHTE, nicht denke, ich MÜSSE schreiben. 

 

Ich glaube tatsächlich, das Schreiben funktioniert am besten aus einem inneren, intuitiven Antrieb heraus, jedenfalls für mich. Warum sonst hätten Menschen ganze Bücher über Monate hinweg morgens in einem Pendlerzug eingepfercht auf einen Block gekritzelt, oder in der Mittagspause die private Word-Datei im Büro geöffnet, während andere zur Kantine gingen? 

 

Schreiben ist ein innerer Schatz, den ich fühlen kann. Ich freue mich über mein Schreiben sogar dann, wenn ich gar nicht schreibe. Einfach darüber, dass ich es tun KÖNNTE. Es gibt mir - so wie auch das bewusste, entspannte, weite Atmen und der ausgiebige Spaziergang in der Natur - ein Gefühl von Lebendigkeit. Ich brauche das Schreiben nicht, um mich lebendig zu fühlen, aber es ist eine lebendige Erfahrung, die mein Menschsein in Verbindung mit meinem höheren Selbst macht. Und ich bin überzeugt, dass man jede Tätigkeit so angehen kann. Von Herzen, vollblütig, mit Muße, im Besitz der eigenen Kräfte, eben GANZ DA, hier und jetzt. Dann macht das Leben Spass, das intensive Erleben, von dem was ist. Dann fühle ich Liebe, zu meinem Schreiben, zu meinem Leben, zu mir, zu dem was gerade nicht funktioniert, und es macht mich sanfter und friedlicher - dankbar. Ich schreibe über mich und meine Umgebung, über das was mich bewegt, und nehme dadurch alles bewusster wahr; kläre, was ist, erkenne, worum es wirklich geht.

 

Darum, auch mal in der Leere zu verweilen. 

Darum, durch den engen Tunnel der immer gleichen Gedanken in die Weite meines Herzens zu gleiten.

Darum, von dem vertikalen, prall gefüllten Leben, in dem der Blick auf das gerichtet ist, was es zu tun und erreichen gilt, in ein horizontales zu kommen, wo ich in die Ferne schauen kann, hoch oben vom Gipfel meines Berges. 

 

Von dort oben sehe ich die Dinge auch besser auf mich zukommen. 

Fühle mich weit und lebendig. 

 

 

Und ein bisschen neu. 

 

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